Mag.Art. Christoph Hildebrand
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(read english below)
Iconosphäre, Adscape, Infospace – das sind die passenden Worte, um den kulturellen Zustand zu beschreiben, in dem wir alle heute leben. Ob wir sie wahrnehmen oder nicht, Zeichen – überzeugend, verführerisch, informativ – umhüllen uns, wo immer wir hingehen. Es gibt kein Entkommen: Sie dringen sogar in unsere Träume ein, und das ist auch gut so.
Die Situation begann sich vor etwa hundertfünfzig Jahren zu entwickeln, Hand in Hand mit dem unerbittlichen Ansturm des kommerziellen Kapitalismus und einer Reihe damit verbundener Entwicklungen: Verstädterung, zunehmende soziale Kontrolle, neue Transportmittel und die Einführung mechanisierter Technologien der visuellen Darstellung, wie Chromolithographie und Fotografie.
Ab dem frühen neunzehnten Jahrhundert entwickelte sich ein erbitterter Wettbewerb um das Auge. Werbebroschüren bedeckten Zäune, Mauern und nicht selten auch einander. Die so entstandenen Palimpseste wurden zu Schauplätzen des Kampfes, auch im konkreten Sinne, als die Plakatierer Rache mit Rache vergelten, indem sie ihre Botschaften über die vorhandenen klebten und sich Schlägereien lieferten.
Die Botschaften wurden größer und ikonischer: Es kam auf die schnelle Wahrnehmung und das Eindringen in die Köpfe an. Die Werbetreibenden setzten nicht nur auf den Tag, sondern auch auf die Nacht: Elektrisches Licht ermöglichte es, die „Sky-Signs“ zu beleuchten, riesige Buchstaben und Figuren, die auf den Dächern aufgestellt wurden. Als Neonröhren und schließlich superhelle LEDs eingeführt wurden, relativierte sich das Verhältnis zwischen Tag und Nacht noch mehr.
Gleichzeitig wuchsen auch andere Arten von Symbolen: Verkehrsschilder, Handelsschilder, Informationsschilder aller Art. Das Leben wurde zunehmend durch visuelle Formeln geregelt, die keiner textlichen Unterschrift bedurften, um ihre Bedeutung zu verankern; sie war bereits im Kopf; das Zeichen stellte nur seine Autorität wieder her. So funktionieren Verkehrsschilder, und die Werbetreibenden möchten, dass ihre Marken genau so funktionieren.
Im späten zwanzigsten Jahrhundert fanden ikonische Zeichen in den digitalen Weiten des Internets ein neues Reich. Smileys“, diese allgegenwärtigen visuellen Abkürzungen für Emotionen, kamen dem zunehmend nervösen Online-Lebensstil sehr gelegen. Von den „Desktops“ der PCs bis zu den Touchscreens der Blackberrys und iPhones kommunizierten wir zunehmend mit visuellen Symbolen.
So selbstverständlich all dies auch erscheinen mag, keine dieser Entwicklungen fand auf natürliche Weise statt. Zeichen waren schon immer „Zeichen der Zeit“. Sie sind Orte des Kampfes. Kulturelle Identitäten werden ausgehandelt, indem man in den Spiegel kodierter Zeichensysteme blickt. Akte des Semioklasmus – Angriffe auf Zeichen und angeblich auch auf die von ihnen repräsentierten Realitäten – sind nicht ungewöhnlich. Doch ob das Zerschlagen von Zeichen jemals zu einer Befreiung von ihrem Bann führt, ist zweifelhaft.
Dies ist im Großen und Ganzen der kulturelle Hintergrund, aus dem die Kunst von Christoph Hildebrand hervorgeht. Unabhängig vom Medium scheint sie sich immer mit Zeichen zu beschäftigen, und zwar nicht nur mit deren formalen Qualitäten als Signifikanten, sondern auch mit deren Kontexten und Konnotationen. In Hildebrands Kunst geht es um Semiose, um das „Leben“ der Zeichen, die unseren Alltag umgeben. Immer wieder und in immer neuen Kombinationen eignet sie sich diese an, stellt sie nebeneinander, verdrängt sie und ersetzt sie.
Aber suchen Sie nicht nach Angriffen oder Aggressionen: Es gibt keinen reinen Ikonoklasmus. Hildebrands Ansatz ist subtiler, nachdenklicher. Die von ihm gesammelten – und oft selbst erfundenen – Zeichen häufen sich und bilden Cluster, die den Betrachter verfolgen und oft einhüllen. Sie wecken Ideen und Assoziationen, weigern sich aber, sich in Konstellationen mit festen Bezeichnungen zu ordnen. Immer wieder werden Bedeutungen suggeriert und gleich wieder dekonstruiert.
Hildebrands Kreationen nehmen viele Formen an: eine riesige Matrix aus Leuchtreklamen, die in einem öffentlichen Gebäude installiert und für die Passanten auf der Straße sichtbar ist; ein transparentes Glashaus; Projektionen auf Galeriewände; eine leuchtende, spiralförmige Struktur in einer Museumslobby. In keinem dieser Fälle sind Hildebrands Schilder abstoßend; vielmehr ziehen sie die Aufmerksamkeit des Passanten auf sich, laden den Blick (und oft auch den Körper) ein und verführen den Betrachter gewissermaßen in der Art der öffentlichen Schilder, die sie nachahmen.
Das ist natürlich alles beabsichtigt. Denn die Verführungskraft dieser Werke ist nur der erste Eindruck, ein Oberflächeneffekt. Erst wenn der Betrachter in ihren Wirkungskreis hineingezogen wird, wird das Wirken anderer Kräfte sichtbar. Ein Prozess des Wahrnehmens, Entdeckens und Hinterfragens wird in Gang gesetzt, wenn man merkt, dass die (Un-)Logik von Hildebrands Zeichenkomplexen nicht ganz den Erwartungen und Regeln entspricht, die ihre alltäglichen Erscheinungsformen bestimmen.
Worum geht es hier also? Vielleicht präsentiert uns Hildebrand tatsächlich eine Art Traumwelt, in der sich vertraute Zeichen aus ihren gewohnten Zusammenhängen gelöst und ihre prosaischen Bedeutungen hinter sich gelassen haben. Die Zeichen scheinen in einem Strom von Assoziationen zu schweben, der leuchtet und funkelt, der den Blick anzieht und es doch unmöglich macht, sie anzustarren, ohne sich benommen zu fühlen. Man ist gezwungen, die Augen zu schließen; das Nachglühen wirkt gleichzeitig beruhigend und beunruhigend. Was verbirgt sich hinter diesen durchsichtigen Zeichen, fragt man sich. Undurchsichtigkeit, oder doch?
Erkki Huhtamo ©2008
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Iconosphere, Adscape, Infospace – these are appropriate words for describing the cultural condition in which we all live today. Whether we perceive them or not, signs – persuasive, seductive, informative – envelop us, wherever we go. There is no escape: they even penetrate our dreams, and so they are meant to do.
The situation began to develop some hundred-fifty years ago, hand-in-hand with the relentless onslaught of commercial capitalism and a number of related developments: urbanization, increasing social control, new means of transportation, and the introduction of mechanized technologies of visual representation, such as chromolithography and photography.
From the early nineteenth century on, a fierce competition for the eye developed. Advertising broadsides covered fences, walls and – more often than not – each other. The ensuing palimpsests became sites of struggle, even in a concrete sense, when billposters countered revenge with revenge, pasting their messages over existing ones, and engaging in fistfights.
Messages became larger and more iconic: quick perception and penetration of the mind was what mattered. Advertisers targeted not just the day, but also the night: electric light made it possible to illuminate the „sky-signs,“ giant letters and figures erected on rooftops. When neon tubes, and eventually super-bright LEDs, were introduced, the relationship between day and night became even more relative.
While all this was happening, other kinds of icons also proliferated: traffic signs, trade signs, infosigns of all types. Life was increasingly regulated by visual formulas that did not need a textual caption to anchor their meaning; it was already in the head; the sign only reinstated its authority. This is how traffic signs work; the advertisers would like their brands to function just the same.
In the late twentieth century iconic signs found a new realm in the digital expanses of the internet. ‚Smileys,‘ those omnipresent visual shortcuts for emotions, came handy in the increasingly nervous pace of on-line lifestyles. From the ‚desktops‘ of personal computers to the touchscreens of Blackberries and iPhones, visual icons were what we increasingly communicated with.
As self-evident as all this may seem, none of these developments took place naturally. Signs have always been ’signs of the times.‘ They are sites of struggle. Cultural identities are negotiated by gazing into the mirrors of coded sign systems. Acts of semioclasm – attacks on signs, and purportedly on the realities they represent – are not unusual. Still, whether smashing signs ever leads to an escape from their spell is doubtful.
By and large, this is the cultural background from which Christoph Hildebrand’s art emerges. Whatever medium it adopts, it always seems occupied with signs, and not just with their formal qualities as signifiers, but also their contexts and connotations. Hildebrand’s art is about semiosis: the ‚lives‘ of the signs that surround our everyday lives. Over and over again, and in ever-new combinations, it appropriates them, juxtaposes them, displaces them and replaces them.
But don’t look for assaults or aggression: there is no sheer iconoclasm. Hildebrand’s approach is more subtle, more reflective. The signs he has collected – and often concocted himself – accumulate, forming clusters that haunt and often envelop the observers. They evoke ideas and associations, but refuse to arrange themselves into constellations with fixed denotations. Meanings are suggested, and immediately deconstructed, over and over again.
Hildebrand’s creations take many forms: a huge matrix of neon signs installed in a public building, visible to the passers-by on a street; a transparent glass house; projections on gallery walls; a glowing spiral-like structure in a museum lobby. In none of these cases are Hildebrand’s signs repulsive; rather, they attract a passer-by’s attention, invite the gaze (and often, the body) and seduce the observer, somewhat in the manner of the public signs they emulate.
This is, of course, all deliberate. For the seductive power of these works is only the first impression, a surface effect. It is only after the observer has been attracted to their sphere of influence that the workings of other forces become apparent. A process of perception, discovery and questioning is unleashed, when one notices that the (il)logic of Hildebrand’s sign complexes does not quite match the expectations and rules governing their everyday manifestations.
So what is at stake here? Perhaps Hildebrand really presents us a kind of dreamscape, where familiar signs have broken loose from their customary contexts, leaving behind their prosaic meanings. The signs seem to be floating down a stream of associations that glows and sparks, attracting one’s gaze, and yet making it impossible to stare without feeling dazed. One is forced to close one’s eyes; the afterglow feels at the same time soothing and distressing. What is there behind these translucent signs, one asks. Opacity, or else?
Erkki Huhtamo ©2008
Erkki Huhtamo is teaching Media History at UCLA in Los Angeles The text was written for the Monography: Christoph Hildebrand NO.WHERE/NOW.HERE published in 2022